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Freitag, 1. März 2013
„Im Dom zu Fulda“ oder „was Träume mir sagen wollen“
blaupause7, 15:39h
Von Zeit zu Zeit habe ich die immer gleichen Träume:
Traum 1 : Auf einer Wanderung oder Radtour (das wechselt von Zeit zu Zeit) folge ich einer steinernen Wegmarkierung mit einer Weinrebe als Motiv, und verliere die Orientierung. Der Traum wiederholt sich, mehrere Tage hintereinander, und es ist immer dieselbe Landschaft, durch die ich irre – dabei kenne ich sie schon in- und auswendig, wenn der Traum wiederkehrt. Manchmal ist mir in einem neuen Traum sogar bewusst, dass ich die Landschaft bereits aus einem früheren Traum kenne ...
Traum 2 : Ich betrete einen Dom durch das Hauptportal, und plötzlich entdecke ich eine geheime Tür in der Säule direkt neben diesem Eingang, die vorher noch nicht da war. Ich öffne diese Tür, steige eine gewundene Treppe hinauf und genieße die Aussicht ...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Was haben diese banal scheinenden Träume mit meinem Leben zu tun? - Ein Beispiel für Zufälle, die sich ergeben und hinter deren Sinn ich erst später komme.
Als ich letztes Jahr einen Autounfall hatte und mein HWS in der Sauna und im warmen Wasser der Bad Sodener Spessart-Therme kurierte, las ich dort in einer Zeitschrift die Rezension eines Wanderführers, der sich mit einem Teilstück des Jakobsweges („Von der Fulda an den Main“) beschäftigte; um genauer zu sein, ging es darin um eine Wanderung vom Dom zu Fulda zum Dom zu Frankfurt/Main, die in mehreren Etappen verläuft:
1. Fulda – Neuhof : 15 Kilometer
2. Neuhof – Schlüchtern : 20 Kilometer
3. Schlüchtern – Bad Soden-Salmünster : 16 Kilometer
4. Bad Soden-Salmünster – Gelnhausen : 19 Kilometer
5. Gelnhausen – Langenselbold : 18,5 Kilometer
6. Langenselbold – Hanau-Mittelbuchen : 14 Kilometer
7. Hanau-Mittelbuchen – Frankfurt : 22,5 Kilometer
Da die einzelnen Etappenziele (Neuhof, Schlüchtern, usw.) für mich bequem mit dem Zug zu erreichen sind, reifte in mir der Plan, diese Wanderung einmal auszuprobieren, nachdem ich mir das Buch zugelegt hatte. Leider klappte es im letzten Herbst nicht, so dass ich mir das kühne Ziel setzte, sie in meinem ersten Urlaub des Jahres 2013 – im Februar zu machen. Mit 6 Kilogramm Gewicht auf dem Rücken und einer ausklingenden Erkältung im Gepäck nahm ich einen Regionalexpress nach Fulda, der gegen elf Uhr in dieser schönen Stadt eintrag. Zeit genug für eine Besichtigung des Doms, der mir von einer lieben Freundin als ganz besonders schön geschildert worden war.
Sie hatte mir nicht zu viel versprochen. Besonders eindrucksvoll fand ich die feinziselierten Skulpturen an den Säulen und eine Ikone, die dem Heiligen Judas Thaddäus (nicht dem Judas Iskariot) gewidmet war: dem Schutzpatron der hoffnungslosen Fälle und der Verzweifelten. Na, das fing ja gut an. Hoffentlich war das kein schlechtes Omen für meine erste Etappe. Nachdem ich ein Lichtlein angezündet hatte, in der Hoffnung, dass es helfen möge, verließ ich den Dom durch das Hauptportal; und dann stutzte und staunte ich nicht schlecht, denn in der Säule direkt neben dem Tor befand sich genau so eine Tür
und eine Wendeltreppe wie in meinem Traum Nummer Zwei.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Doch es kam noch besser. Auf der Suche nach dem Wegzeichen des Rhönklubs (weiße Muschel auf blauem Grund und blaue Muschel auf weißem Grund) irrte ich um den ganzen Dom herum, und als ich den Startpunkt dann endlich fand und dem Weg folgte, kam ich durch eine Gasse, die der Gasse in meinem Traum Nummer Eins nicht unähnlich war. Gut, in meinem Traum waren es in Stein gemeißelte Trauben mit Weinlaub, und in der Wirklichkeit war es eine Muschel. Und dennoch: Vielleicht wollte mir mein Gehirn lange vorher etwas mitteilen, nämlich dass ich mich endlich aufraffen und genau diesen Weg laufen soll ...
Aber warum ausgerechnet im Februar, wo jeder weiß, dass der Winter noch lange nicht vorbei ist? Warum nicht, entgegnete ich – da fliegen wenigstens noch keine Pollen von Hasel, Erle und Birke, die mir das Atmen beim Wandern erschweren würden. „Ui toll, du läufst den Bonifatiusweg!“ oder „Bist du jetzt auf einmal fromm geworden?“ oder „Ist dir das denn nicht langweilig, so allein?“ oder „Hast du denn gar keine Angst?“ - das waren die klassischen Fragen an mich, gestellt von Menschen, denen ich unvorsichtigerweise im Überschwang von meinem Plan erzählt hatte. Kaum einer kam auf die Idee, ich könnte eventuell die insgesamt 125 Kilometer lange Strecke nicht schaffen. Zugegeben, die einzelnen Teilstücke erscheinen einem nicht besonders lang, und ich war auch schon einmal von Miltenberg zum Kloster Engelberg und wieder zurück an einem Tag gelaufen. Aber das war, wie gesagt, ein Tag, und danach war Schluss. Auch eine einwöchige Radtour mit Etappen zwischen 17 und 30 Kilometern pro Tag lässt sich mit einer mehrtägigen Wanderung nicht vergleichen.
Und so kam, was ich befürchtet hatte: Am Ende wurden es nur 58,3 Kilometer, weil ich von den ganzen Teilstücken nur das erste und das letzte nach Plan (und den auch nur zum Teil) wirklich lief. Die Gründe für mein Schwächeln waren in der Beschaffenheit der Wege sowie einer Verschlechterung des Wetters und meines Gesundheitszustandes zu suchen. Am ersten Tag nämlich, fünf Kilometer vor dem Ziel, rutschte ich im Wald auf einer zugefrorenen Rinne aus und stürzte auf die Knie. Als ich in Neuhof ankam, hielt ich die Schmerzen in meinen Beinen zunächst für einen Muskelkater, aber am nächsten Morgen musste ich leider feststellen, dass sich mein rechtes Bein zwar tadellos bewegen ließ, ich mir aber im linken Bein wohl eine Zerrung zugezogen haben musste. Dennoch ließ ich mich nicht davon abhalten, die nächste Strecke anzugehen. Kurz nach dem Ortsausgang jedoch setzte starkes Schneegestöber ein und setzte die Sicht stark herab. Da hatte ich längst meinen Plan, der Markierung für den Jakobsweg zu folgen, aufgegeben, denn noch so einen Sturz konnte ich nicht gebrauchen, und wer weiß, in welchem Zustand die Wege durch Wald und Feld noch waren. Wie schön, dass es noch eine Variante für Radpilger gab: den hessischen Fernradweg R3. Der verläuft nämlich bis nach Gelnhausen.
Perfekt für mich, denn da wollte ich meine Wanderung nun tatsächlich beenden. Erstens hatte ich donnerstags und freitags Termine in Frankfurt, und zweitens versprach ich mir ab Gelnhausen nicht landschaftlich beeindruckendes (jedenfalls nicht für mich). Aber vielleicht ist das auch nur ein Vorurteil; das herauszufinden dürfte aber nicht schwer sein, wenn wir im Sommer das ganze Projekt mit den Fahrrädern erneut angehen werden. Soviel hatte sich für mich nämlich jetzt schon herauskristallisiert: Wenn du merkst, dass du dein Ziel vermutlich nicht erreichen wirst, gibt es mehrere Möglichkeiten.
1. Du erklärst das Projekt für gescheitert.
2. Du beschließt, dass es nicht so schlimm ist, wenn du die Vorgabe nur zu drei Vierteln erfüllt hast.
3. Du deklarierst im Nachhinein das Ziel um und erklärst das ganze Projekt zu einem Modellversuch oder Probelauf für ein anders aber ähnlich geartetes Projekt.
4. Du beschließt, dem Projekt zu einem geeigneteren Zeitpunkt eine zweite Chance zu geben.
Denn wie heißt es doch so schön in einer Signatur, die ich vor längerem gelesen habe? „Hinfallen ist keine Schande – liegenbleiben schon.“ In diesem Sinne bastelte ich mir eine Entschuldigung in einer Kombination aus Möglichkeit 3 und 4 zurecht und steuerte nach acht Kilometern das nächste Wirtshaus an, denn viel Trinken bei körperlicher Anstrengung ist das A und O – und danach den nächsten Bahnhof, an dem ich dann meine Geduld beim Warten auf den Zug nach Schlüchtern auf eine erste Probe stellen konnte. Der brachte mich dann auch in kürzester Zeit an mein heutiges Streckenziel, und vom Bahnhof aus bekam ich dann auch noch tatsächlich Hilfe von einer netten Autofahrerin, die mich in den Ortskern mitnahm, nachdem ich den Bus verpasst hatte und weit und breit kein Taxi zu sehen war. In der Pension konnte ich dann wenigstens erst mal mein Gepäck abladen und mit meinem zu Hause gebliebenen Mann telefonieren. Der kam dann auf die wirklich grandiose Idee, sich ins Auto zu setzen, mir Salbe für mein lädiertes Knie zu bringen und die Sachen, die ich nicht mehr brauchte (was auch rund ein Kilo war), wieder mit nach Hause zu nehmen. Inzwischen waren aber die Straßen schneefallbedingt kein Quell der Freude, so dass er in dem von mir alleine belegten Zweibettzimmer spontan übernachtete. Natürlich nicht ohne dies mit den Wirtsleuten abzusprechen, denn nicht jeder liebt Überraschungen.
Und wenn ich schon dabei bin, wurden weder mein Knie noch das Wetter am nächsten Morgen besser, so dass er mich mit dem Auto nach Salmünster fuhr, wo ich mein Gepäck unterbringen konnte. Zum Glück war schon das Zimmer frei, sonst hätte ich den ganzen Krempel durch die Pampa schleppen dürfen. Untätig war ich nicht, denn in Salmünster schien es keinen neuen Schnee zu geben, und wärmer fühlte sich die Luft auch an. Also bummelte ich gemütlich durch die Auenlandschaft nach Bad Soden – immerhin auch zwei Kilometer. Aber jetzt ohne Gepäck. Ziel: die Spessart-Therme, denn da kann man im Restaurant mit Blick auf die Schwimmhalle auch speisen. Kaffee und Kuchen hatte ich mir jetzt zwar nicht unbedingt verdient, aber ich sehnte mich danach. Außerdem konnte ich in Erfahrung bringen, dass man sich in der Therme ein Saunatuch leihen konnte. Das kam mir, die auf diesen zusätzlichen Ballast von vornherein verzichtet hatte, doch allerbestens gelegen. Da ich zwei Nächte in Salmünster gebucht hatte, waren das doch mal gute Neuigkeiten. Den folgenden Tag wollte ich nämlich in der Spessart-Therme verbringen; ursprünglich war dieser Tag zum Auftanken gedacht – nun brauchte ich ihn tatsächlich, um wieder fit zu werden, denn Wärme ist gut für die Gelenke.
So, nun mal kurz nachgerechnet: Freitags 17,5 Kilometer gewandert, am Samstag nur 8,6 Kilometer (von Neuhof nach Flieden), am Sonntag 6,2 Kilometer in Bad Soden und Salmünster, am Montag nochmal 4,2 Kilometer an den gleichen Orten, und zum Schluss sollte dann der Dienstag folgen – von Salmünster nach Gelnhausen; die Strecke war laut Buch mit 19 Kilometern ausgewiesen. In Wirklichkeit waren es dann aber doch 21,5 Kilometer, da ich noch durch Gelnhausen zum Bahnhof trabte und mit dem Zug nach Haitz-Höchst fuhr, wo eine Verwandte meines Mannes wohnte, die mich zu sich nach Hause eingeladen hatte. Den Weg vom Bahnhof zu ihr musste ich ja auch noch mit in meine Kilometerstatistik hineinrechnen.
Und bevor ich jetzt anfange, nur noch uninteressante Statistiken breitzutreten, komme ich lieber auf meine Eindrücke unterwegs zu sprechen; aber das ist, um den 1995 verstorbenen Schriftsteller Michael Ende zu zitieren, „eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.“
Traum 1 : Auf einer Wanderung oder Radtour (das wechselt von Zeit zu Zeit) folge ich einer steinernen Wegmarkierung mit einer Weinrebe als Motiv, und verliere die Orientierung. Der Traum wiederholt sich, mehrere Tage hintereinander, und es ist immer dieselbe Landschaft, durch die ich irre – dabei kenne ich sie schon in- und auswendig, wenn der Traum wiederkehrt. Manchmal ist mir in einem neuen Traum sogar bewusst, dass ich die Landschaft bereits aus einem früheren Traum kenne ...
Traum 2 : Ich betrete einen Dom durch das Hauptportal, und plötzlich entdecke ich eine geheime Tür in der Säule direkt neben diesem Eingang, die vorher noch nicht da war. Ich öffne diese Tür, steige eine gewundene Treppe hinauf und genieße die Aussicht ...
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Was haben diese banal scheinenden Träume mit meinem Leben zu tun? - Ein Beispiel für Zufälle, die sich ergeben und hinter deren Sinn ich erst später komme.
Als ich letztes Jahr einen Autounfall hatte und mein HWS in der Sauna und im warmen Wasser der Bad Sodener Spessart-Therme kurierte, las ich dort in einer Zeitschrift die Rezension eines Wanderführers, der sich mit einem Teilstück des Jakobsweges („Von der Fulda an den Main“) beschäftigte; um genauer zu sein, ging es darin um eine Wanderung vom Dom zu Fulda zum Dom zu Frankfurt/Main, die in mehreren Etappen verläuft:
1. Fulda – Neuhof : 15 Kilometer
2. Neuhof – Schlüchtern : 20 Kilometer
3. Schlüchtern – Bad Soden-Salmünster : 16 Kilometer
4. Bad Soden-Salmünster – Gelnhausen : 19 Kilometer
5. Gelnhausen – Langenselbold : 18,5 Kilometer
6. Langenselbold – Hanau-Mittelbuchen : 14 Kilometer
7. Hanau-Mittelbuchen – Frankfurt : 22,5 Kilometer
Da die einzelnen Etappenziele (Neuhof, Schlüchtern, usw.) für mich bequem mit dem Zug zu erreichen sind, reifte in mir der Plan, diese Wanderung einmal auszuprobieren, nachdem ich mir das Buch zugelegt hatte. Leider klappte es im letzten Herbst nicht, so dass ich mir das kühne Ziel setzte, sie in meinem ersten Urlaub des Jahres 2013 – im Februar zu machen. Mit 6 Kilogramm Gewicht auf dem Rücken und einer ausklingenden Erkältung im Gepäck nahm ich einen Regionalexpress nach Fulda, der gegen elf Uhr in dieser schönen Stadt eintrag. Zeit genug für eine Besichtigung des Doms, der mir von einer lieben Freundin als ganz besonders schön geschildert worden war.
Sie hatte mir nicht zu viel versprochen. Besonders eindrucksvoll fand ich die feinziselierten Skulpturen an den Säulen und eine Ikone, die dem Heiligen Judas Thaddäus (nicht dem Judas Iskariot) gewidmet war: dem Schutzpatron der hoffnungslosen Fälle und der Verzweifelten. Na, das fing ja gut an. Hoffentlich war das kein schlechtes Omen für meine erste Etappe. Nachdem ich ein Lichtlein angezündet hatte, in der Hoffnung, dass es helfen möge, verließ ich den Dom durch das Hauptportal; und dann stutzte und staunte ich nicht schlecht, denn in der Säule direkt neben dem Tor befand sich genau so eine Tür
und eine Wendeltreppe wie in meinem Traum Nummer Zwei.
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Doch es kam noch besser. Auf der Suche nach dem Wegzeichen des Rhönklubs (weiße Muschel auf blauem Grund und blaue Muschel auf weißem Grund) irrte ich um den ganzen Dom herum, und als ich den Startpunkt dann endlich fand und dem Weg folgte, kam ich durch eine Gasse, die der Gasse in meinem Traum Nummer Eins nicht unähnlich war. Gut, in meinem Traum waren es in Stein gemeißelte Trauben mit Weinlaub, und in der Wirklichkeit war es eine Muschel. Und dennoch: Vielleicht wollte mir mein Gehirn lange vorher etwas mitteilen, nämlich dass ich mich endlich aufraffen und genau diesen Weg laufen soll ...
Aber warum ausgerechnet im Februar, wo jeder weiß, dass der Winter noch lange nicht vorbei ist? Warum nicht, entgegnete ich – da fliegen wenigstens noch keine Pollen von Hasel, Erle und Birke, die mir das Atmen beim Wandern erschweren würden. „Ui toll, du läufst den Bonifatiusweg!“ oder „Bist du jetzt auf einmal fromm geworden?“ oder „Ist dir das denn nicht langweilig, so allein?“ oder „Hast du denn gar keine Angst?“ - das waren die klassischen Fragen an mich, gestellt von Menschen, denen ich unvorsichtigerweise im Überschwang von meinem Plan erzählt hatte. Kaum einer kam auf die Idee, ich könnte eventuell die insgesamt 125 Kilometer lange Strecke nicht schaffen. Zugegeben, die einzelnen Teilstücke erscheinen einem nicht besonders lang, und ich war auch schon einmal von Miltenberg zum Kloster Engelberg und wieder zurück an einem Tag gelaufen. Aber das war, wie gesagt, ein Tag, und danach war Schluss. Auch eine einwöchige Radtour mit Etappen zwischen 17 und 30 Kilometern pro Tag lässt sich mit einer mehrtägigen Wanderung nicht vergleichen.
Und so kam, was ich befürchtet hatte: Am Ende wurden es nur 58,3 Kilometer, weil ich von den ganzen Teilstücken nur das erste und das letzte nach Plan (und den auch nur zum Teil) wirklich lief. Die Gründe für mein Schwächeln waren in der Beschaffenheit der Wege sowie einer Verschlechterung des Wetters und meines Gesundheitszustandes zu suchen. Am ersten Tag nämlich, fünf Kilometer vor dem Ziel, rutschte ich im Wald auf einer zugefrorenen Rinne aus und stürzte auf die Knie. Als ich in Neuhof ankam, hielt ich die Schmerzen in meinen Beinen zunächst für einen Muskelkater, aber am nächsten Morgen musste ich leider feststellen, dass sich mein rechtes Bein zwar tadellos bewegen ließ, ich mir aber im linken Bein wohl eine Zerrung zugezogen haben musste. Dennoch ließ ich mich nicht davon abhalten, die nächste Strecke anzugehen. Kurz nach dem Ortsausgang jedoch setzte starkes Schneegestöber ein und setzte die Sicht stark herab. Da hatte ich längst meinen Plan, der Markierung für den Jakobsweg zu folgen, aufgegeben, denn noch so einen Sturz konnte ich nicht gebrauchen, und wer weiß, in welchem Zustand die Wege durch Wald und Feld noch waren. Wie schön, dass es noch eine Variante für Radpilger gab: den hessischen Fernradweg R3. Der verläuft nämlich bis nach Gelnhausen.
Perfekt für mich, denn da wollte ich meine Wanderung nun tatsächlich beenden. Erstens hatte ich donnerstags und freitags Termine in Frankfurt, und zweitens versprach ich mir ab Gelnhausen nicht landschaftlich beeindruckendes (jedenfalls nicht für mich). Aber vielleicht ist das auch nur ein Vorurteil; das herauszufinden dürfte aber nicht schwer sein, wenn wir im Sommer das ganze Projekt mit den Fahrrädern erneut angehen werden. Soviel hatte sich für mich nämlich jetzt schon herauskristallisiert: Wenn du merkst, dass du dein Ziel vermutlich nicht erreichen wirst, gibt es mehrere Möglichkeiten.
1. Du erklärst das Projekt für gescheitert.
2. Du beschließt, dass es nicht so schlimm ist, wenn du die Vorgabe nur zu drei Vierteln erfüllt hast.
3. Du deklarierst im Nachhinein das Ziel um und erklärst das ganze Projekt zu einem Modellversuch oder Probelauf für ein anders aber ähnlich geartetes Projekt.
4. Du beschließt, dem Projekt zu einem geeigneteren Zeitpunkt eine zweite Chance zu geben.
Denn wie heißt es doch so schön in einer Signatur, die ich vor längerem gelesen habe? „Hinfallen ist keine Schande – liegenbleiben schon.“ In diesem Sinne bastelte ich mir eine Entschuldigung in einer Kombination aus Möglichkeit 3 und 4 zurecht und steuerte nach acht Kilometern das nächste Wirtshaus an, denn viel Trinken bei körperlicher Anstrengung ist das A und O – und danach den nächsten Bahnhof, an dem ich dann meine Geduld beim Warten auf den Zug nach Schlüchtern auf eine erste Probe stellen konnte. Der brachte mich dann auch in kürzester Zeit an mein heutiges Streckenziel, und vom Bahnhof aus bekam ich dann auch noch tatsächlich Hilfe von einer netten Autofahrerin, die mich in den Ortskern mitnahm, nachdem ich den Bus verpasst hatte und weit und breit kein Taxi zu sehen war. In der Pension konnte ich dann wenigstens erst mal mein Gepäck abladen und mit meinem zu Hause gebliebenen Mann telefonieren. Der kam dann auf die wirklich grandiose Idee, sich ins Auto zu setzen, mir Salbe für mein lädiertes Knie zu bringen und die Sachen, die ich nicht mehr brauchte (was auch rund ein Kilo war), wieder mit nach Hause zu nehmen. Inzwischen waren aber die Straßen schneefallbedingt kein Quell der Freude, so dass er in dem von mir alleine belegten Zweibettzimmer spontan übernachtete. Natürlich nicht ohne dies mit den Wirtsleuten abzusprechen, denn nicht jeder liebt Überraschungen.
Und wenn ich schon dabei bin, wurden weder mein Knie noch das Wetter am nächsten Morgen besser, so dass er mich mit dem Auto nach Salmünster fuhr, wo ich mein Gepäck unterbringen konnte. Zum Glück war schon das Zimmer frei, sonst hätte ich den ganzen Krempel durch die Pampa schleppen dürfen. Untätig war ich nicht, denn in Salmünster schien es keinen neuen Schnee zu geben, und wärmer fühlte sich die Luft auch an. Also bummelte ich gemütlich durch die Auenlandschaft nach Bad Soden – immerhin auch zwei Kilometer. Aber jetzt ohne Gepäck. Ziel: die Spessart-Therme, denn da kann man im Restaurant mit Blick auf die Schwimmhalle auch speisen. Kaffee und Kuchen hatte ich mir jetzt zwar nicht unbedingt verdient, aber ich sehnte mich danach. Außerdem konnte ich in Erfahrung bringen, dass man sich in der Therme ein Saunatuch leihen konnte. Das kam mir, die auf diesen zusätzlichen Ballast von vornherein verzichtet hatte, doch allerbestens gelegen. Da ich zwei Nächte in Salmünster gebucht hatte, waren das doch mal gute Neuigkeiten. Den folgenden Tag wollte ich nämlich in der Spessart-Therme verbringen; ursprünglich war dieser Tag zum Auftanken gedacht – nun brauchte ich ihn tatsächlich, um wieder fit zu werden, denn Wärme ist gut für die Gelenke.
So, nun mal kurz nachgerechnet: Freitags 17,5 Kilometer gewandert, am Samstag nur 8,6 Kilometer (von Neuhof nach Flieden), am Sonntag 6,2 Kilometer in Bad Soden und Salmünster, am Montag nochmal 4,2 Kilometer an den gleichen Orten, und zum Schluss sollte dann der Dienstag folgen – von Salmünster nach Gelnhausen; die Strecke war laut Buch mit 19 Kilometern ausgewiesen. In Wirklichkeit waren es dann aber doch 21,5 Kilometer, da ich noch durch Gelnhausen zum Bahnhof trabte und mit dem Zug nach Haitz-Höchst fuhr, wo eine Verwandte meines Mannes wohnte, die mich zu sich nach Hause eingeladen hatte. Den Weg vom Bahnhof zu ihr musste ich ja auch noch mit in meine Kilometerstatistik hineinrechnen.
Und bevor ich jetzt anfange, nur noch uninteressante Statistiken breitzutreten, komme ich lieber auf meine Eindrücke unterwegs zu sprechen; aber das ist, um den 1995 verstorbenen Schriftsteller Michael Ende zu zitieren, „eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.“
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